Mittwoch, 11. Juli 2018

Der ideale Zustand

Die Ideale Firma
In der Astronomie ist ein Leitstern so etwas wie eine Kontrollinstanz. Ein Pünktchen, dass man anvisiert und durch geeignete Maßnahmen zur Richtungskorrektur immer wieder in die Mitte des Blickfeldes steuert, beispielsweise um qualitativ hochwertige, unverzerrte Sternenbilder zu gewinnen. Der Nordstern 'Polaris', das helle Sternchen am Ende der Deichsel des 'kleinen Wagen', ist so eine Referenz, denn er liegt im Moment inetwa dort, wo die Rotationsachse der Erde nach Norden hin zeigt. Von uns Erdlingen aus gesehen, steht Polaris scheinbar still und alles andere dreht sich um ihn herum. Will man sehen, wo man gerade steht, dann hilft ein solches Leitbild zur Orientierung ungemein. Dort geht's lang, dort wollen wir hin! In unserer irdischen Umgebung, bei der Herstellung von Dingen, bei Dienstleistungen oder anderen Vorhaben ist das ebenso - ein definiertes Leitbild, gemeinsame Wertvorstellungen - Arubeki Sugata: "Wie wir sein wollen", und schon haben wir (wenn wir alle wollen) eine Richtung. Nur, wie kommt man zu so einem Wertesystem?
Wie sieht der Idealzustand aus, die ideale Firma? Wie ein ideales Produktionssystem? Wie ein idealer Prozess? Wer sind die Protagonisten? Menschen, Materialien, Maschinen, Informationen. Wie muss ich eine Hand voll Sand umformen, damit daraus ein Microchip entsteht, der vielleicht einen Elektromotor steuert. Welche Informationen brauche ich dazu? Wie soll ich dabei vorgehen, welche Zusatzstoffe benötige ich? Wie hängt das alles zusammen? Und ganz wichtig: Was erwarten und fordern unsere Kunden?

Beginnen wir mit der Frage nach der Qualität: Wie weit weichen wir von einer Anforderung ab? Gut, Fehler gibt es immer und überall. Aber was, wenn ich keine Fehler machen würde. Ich müsste keine Nacharbeit leisten, könnte mein Produkt schnell auf den Markt bringen und würde, weil makellos, damit vielleicht sogar Leben retten können. Kunden würden unsere fehlerfreien Produkte lieben und darin gerne investieren. Wieso? Weil Qualität sich auszahlt.
Dennoch, Qualität ist relativ, denn es ist das, was der Kunde bereit ist dafür zu zahlen oder anders Formuliert [05]: Qualität ist nicht mehr und nicht weniger als der Gegenwert [für etwas], den eine Person erhält. Mit Gegenwert meine ich: ‚Was sind die Leute bereit zu zahlen (zu tun), damit ihre Anforderungen erfüllt werden?". Gut, wir fordern das Maximum, Punkt 1: Idealerweise wollen wir so sein, dass wir keine Fehler machen!

Dürfen wir bei unserem Vorhaben dann langsam sein, alles ganz vorsichtig ausführen, bloß nichts falsch machen? Nein. Wir müssen mit der Kundenanforderung Schritt halten. Dazu müssen wir schnell sein, unser Handwerk, unsere Prozesse, unsere Kunden verstehen. Kunden wollen jetzt und gleich soundsoviel vom Besten. Wir sollten also mit der Lieferung unseres Produktes oder unserer Dienstleistung nicht allzulange brauchen, sonst kommt uns die Konkurrenz zuvor. Wir müssen so schnell wie notwendig möglich sein und dabei keine Tätigkeiten verrichten die den Aufwand nicht lohnen (im Japanischen steht dafür der Begriff Muda, mu- für kein oder nichts und -da für Lohn, also: "[Das] lohnt  nicht". Das ist nicht dasselbe wie 'Verschwendung'! Das bezeichnet man im Japanischen mit Rohi; Ro, große Wellen, Wogen und hi, Verbrauch/verbrauchen... In Wogen (Saus und Braus) verbrauchen (leben) [01]. Merkt ihr den feinen Unterschied? Muda bezieht sich auf die Tat, Rohi auf die Person. Der Begriff 'Verschwendung' ist deshalb nicht so gut geeignet wenn man etwas verbessern möchte. "Was du gerade tust ist nutzlos", klingt freundlicher als "du Verschwender", oder? Die betroffene Personen könnte dann 'ihr Gesicht verlieren' und wäre pe-i-es-es-e-de, 'pissed' (stocksauer)!

Ich schweife ab. Also weiter - Bislang arbeiten wir schnell und gut. Aber nichts soll schnell und gut produziert werden um dann irgendwo dumm rumzuliegen und auf etwas zu warten. Haben wir in unserem Eifer etwa zu viel hergestellt? Wieviel müssen wir eigentlich herstellen? Und in welchem zeitlichen Rahmen? Ideal wäre, wenn alles einem optimalen kundenorientierten Fluss folgte - ein Strömen von Werten (und idealerweise nur von Werten). Dieses Werteströmen lässt sich messen, indem man die Zeit, in der man einem Produkt von einem Zustand A in einen, für den Kunden wertvolleren, Zustand B umwandelt (die Processing Time oder Zykluszeit) vergleicht mit der gesamten Durchlaufzeit eines Produktes (die Total Production Lead Time oder Total Throughput Time).
Ein Beispiel: Wir wollen ein Aluminiumblech in eine Aluminiumwanne durch pressen umformt (unser Kunde möchte Wannen, keine Bleche!). Der Presskolben unserer Presse fährt zügig herab, berührt das Blech (jetzt startet die Zeitmessung), formt es um in eine Wanne, erreicht den spezifizierten Hub (nun stoppt die Zeitmessung), fährt wieder hoch und wirft das mit einem höheren Wert (added value) versehene Stück, die Wanne, aus. Ihr ahnt, dass die Zeit der Wertschöpfung des Prozessschrittes 'Wanne pressen' hier sehr gering ist (wir reden von Bruchteilen einer Sekunde!). Verglichen mit dem ganzen Drumherrum (Blech zur Presse transportieren, justieren, Presse starten, Kolben fährt runter bis er das Blech berührt, ... Kolben fährt wieder hoch, Wanne auswerfen, prüfen, ... ). ist hier die Effizienz des Prozesszyklus PCE (Process Cycle Efficiency = Processing Time * 100 / Total Lead Time) nicht gerade umwerfend gut. In der realen Produktion liegt sie üblicherweise bei 3-5%. Wenn wir echt gut sind, Marktführer, dann sind es vielleicht 20% [06]? In der Dienstleistungsbranche liegen wir in der Regel bei unter 10% und kommen als Weltklassefirma auf bis zu 50% [10].
Der Idealzustand der Wertschöpfung liegt, und mehr geht wirklich nicht, bei 100%. Dann wäre die gesamte Durchlaufzeit des Produktes genauso gering wie die wertschöpfenden Prozesszykluszeiten des Produktes. Alle unnützen Tätigkeiten und auch das dumm rumliegen und warten wären vorbei, es gäbe keine sonstigen Aktivitäten wie 'Blech zur Presse transportieren', 'justieren',... usf. Um den Idealzustand zu erheben notieren wir also Punkt 2: Wir wollen so sein, dass wir 100% Wertschöpfung erreichen (und merken uns: Überproduktion ist keine Option!)

Cool wäre es doch auch, wenn ein Kunde kommt, beispielsweise beim Bäcker sein Baguette bestellt, der Bäcker startet mit der Produktion, arbeitet zügig und gut, Schritt für Schritt, bis die Ware auslieferbar ist. Der Kunde kommt und nimmt sie handwarm und cross in Empfang (und bezahlt sie auchgleich). Schon kommt die nächste Bestellung und der Bäcker startet von neuem, jetzt vielleicht mit einem Vollkornbrot... Man müsste also idealerweise eins nach dem anderen produzieren, immer eines pro Durchgang (Losgröße 1), hätte keine Überproduktion, wäre extrem flexibel für Kundenwünsche, gewännen ausgeprägte Kenntnisse über Markt, Waren und Herstellungsprozesse und damit auch die Fähigkeit Fehler frühzeitig zu entdecken und zu beheben. Das wiederum würde Kundenzufriedenheit erhöhen. Wir würden mehr verantworten können, bekämen für unsere gute Arbeit mehr Anerkennung und hätten vermutlich mehr Spaß an der Arbeit, wären alles in allem super motiviert und - seltener krank! Das klingt gut!
Wir notieren für den Idealzustand Punkt 3: Wir wollen so sein, dass wir in Einzelstückfließfertigung (one piece flow), sequenziell und nach Kundenanforderung herstellen oder Dienste leisten.

Bislang arbeiten wir schnell und gut, sequenziell, Eines nach dem Andern, vermeiden jegliche Vergeudung von Ressourcen durch unnütze Tätigkeiten und Lagerhaltung, sind hoch motiviert und orientieren uns an unseren Kunden.

Die Ideale Firma
Das funktioniert allerdings nur solange perfekt, wie wir perfekt 'funktionieren', also gesund sind und verfügbar. Punkt 4: Wir wollen so sein, dass Gesundheit und Sicherheit der Mitarbeiter (und unsere eigene) uns wirklich wirklich wichtig sind.

Damit haben wir alle Themen, die unseren Idealzustand definieren und unseren realen IST-Zustand ausmachen, notiert: Qualität, Effizienz und Sicherheit/Gesundheit, eingebettet in die zielgerichtete, förderliche Mentalität in allen Belangen kontinuierlich und exzellent zu werden (Mindset)!

Das alles kostet! Was das alles kostet, hängt von unserer Unternehmung ab und wie sehr wir uns dem Idealzustand betriebswirtschaftlich annähern wollen und können.

Mindset
Minimale Kosten wäre ein Punkt. Nur, was sind minimale Kosten? Das hängt alles ab vom Aufwand den ich zu einem bestimmten Zeitpunkt treiben will oder muss: Qualität erhöhen weil die Kosten für schlechte Qualität ('cost of poor quality') bei dieser Marktlage nicht mehr hinnehmbar sind. Die Wertschöpfung erhöhen, weil wir unsere Produktionskosten senken müssen oder wollen und die Konkurrenz (wir haben doch Konkurrenz?) unsere Preise unterbieten kann.
Die Sicherheit erhöhen weil geänderte Gesetze uns das neuerdings vorgeben oder besser: weil uns unsere Belegschaft mit ihrem Know-how und Wissen wirklich wirklich wichtig ist.

Kosten ist also kein Idealwert für unseren 'Nordstern'. Aber Kosten hängen direkt, wenn auch nichtlinear, von Effizienz, Qualität und der Sicherheit/Gesundheit der Menschen ab.

Der iterative Weg zum Ziel

Durch strukturierte Verfahren, Verhaltensweisen und Werkzeuge, können wir lernen, mit Hilfe von Wissen (Zahlen, Daten, Fakten) unseren heutigen IST-Zustand zu analysieren, Probleme aufzudecken, einen SOLL-Zustand zu definieren, das Problem daraufhin anzugehen und... - da werfen uns Folgeprobleme wieder einen Schritt zurück.
Aber auch die werden wir angehen, in unseren SOLL-Zustand einarbeiten und lösen. Der SOLL-Zustand wird zum IST-Zustand. Und schon taucht ein neues Problem auf - Ein immerwährendes kontinuierliches Verbessern, in kleinen überschaubaren Schritten, hin in Richtung Idealzustand - Kaizen, jap. kai - Veränderung, Wandel, zen - zum Besseren hin.

Ist das interessant?
Wie wäre es mit Lean Six Sigma?

Bis zum nächsten Mal...
Thomas

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen